2003 · Güstrow · Eröffnung

Güstrow Wollhalle
Städtische Galerie Wollhalle Güstrow · Foto © MWJ

Fotografie von Manfred Paul | Malerei von Manfred W. Jürgens

Städtische Galerie Wollhalle Güstrow · 2003

Portraits · 22.02. - 30.03. 2003


Seele macht sie verwandt

26.3.2003

Wollhalle

21.03.2003

Presse und Radio

21.03.2003

Ausstellungseröffnung, 21.03.2003

Béatrice Busjan

Direktorin des Stadtgeschichtlichen Museum 'Schabbellhaus' in Wismar


Manfred W. Jürgens Wismar

Manfred Paul und Manfred W. Jürgens haben uns heute Abend zu einer gemeinsamen Ausstellung eingeladen und ihr den Titel 'Portraits' gegeben. Wer die Einladung genau angesehen hat, war vielleicht verblüfft, dass unter den Namen der beiden Künstler nicht etwa Porträts ihrer selbst, sondern jeweils die ihrer Frauen zu sehen sind. Was immer der Grund dafür gewesen ist: Es lag jedenfalls nicht daran, dass es von ihnen selbst keine Porträts gäbe. Denn für diese Ausstellung haben sich die beiden gegenseitig porträtiert. Sie finden die Abbilder gleich am Eingang.

Daneben hängen übrigens ihre Biographien, von denen aber beide übereinstimmend sagen, dass man diese nicht kennen muss, um einen Zugang zu ihren Bildern zu finden. Deshalb wollen auch wir die Lebensläufe beiseite lassen, nur soviel sei erwähnt:

Manfred Paul lehrt Fotografie in Berlin; Manfred W. Jürgens hat ebendort studiert, also seine künstlerische Ausbildung und Anstöße von Manfred Paul Ende der 80er Jahre erhalten.

Zurück zu den gegenseitigen Porträts: Die Fotografie, die Manfred Paul von Manfred W. Jürgens gemacht hat, zeigt dessen Gesicht frontal in großer Nahsicht. Fragend und etwas entrückt blickt Jürgens auf den Betrachter. Die Verteilung des Lichts, die die linke Gesichtshälfte im Dunkeln lässt, macht deutlich: Auch bei großer Nähe ist der Mensch nicht vollkommen zu erkennen, stets bleibt dem Betrachter ein Teil verborgen.

Manfred W. Jürgens hingegen zeigt seinen ehemaligen Lehrer prüfend und mit scharfem Blick. Das kleine Lächeln, das in Pauls Mundwinkel spielt, schafft Distanz zum Betrachter und zugleich zu sich selbst und erzeugt so den Eindruck eines in sich Ruhenden.

Schon bei der Betrachtung dieser beiden Bilder merkt man schnell: Porträts sagen mindestens soviel über den Abbildenden und seine Idee wie über den Abgebildeten.

Glaubt man dem Florentiner Renaissancegelehrten Leon Battista Alberti, so stand ein missglückter Porträtversuch am Beginn der Malerei. In seinem 1435 erschienenen Traktat 'Della Pittura' erzählt Alberti nämlich folgende Legende: "Durstig über eine Quelle gebeugt, erblickte Narcissus im Spiegel des Wassers ein Bild, sein Ebenbild. Er suchte es zu fassen, festzuhalten - aber vergeblich." Narcissus scheiterte und brachte so - laut Alberti - die Malerei auf den Weg. Und Alberti fragt weiter rhetorisch: "Denn könntest Du wohl sagen, dass die Malerei anderes sei als künstlerisch ein Ebenbild zu umfassen suchen, gleich jenem, welches dort aus dem Spiegel der Quelle blickte?"

Trotz der langen Tradition der Bildgattung 'Porträt' gibt es auf die Frage 'Was ist ein Porträt' durchaus unterschiedliche Antworten.

So unterschiedlich die Antworten sind, sie alle haben eines gemeinsam: Es besteht Übereinstimmung, dass das Motiv eines Porträts der Mensch sei. Gerade diesen kleinsten gemeinsamen Nenner, verlässt jedoch Manfred W. Jürgens, in dem er bewusst auch das Abbild eines Fisches oder von Blumen mitgebracht hat. Augenzwinkernd tut dies auch Manfred Paul mit Fotografien wie den Händen oder der Faust oder auch einem Akt, die er seinen Porträts an die Seite gestellt hat.

Das heißt: Obwohl sich beide im Titel ihrer Ausstellung auf eine klassische Bildgattung beziehen und sich damit der traditionellen Systematisierung der Bildthemen theoretisch zu unterwerfen scheinen, weichen sie in der Praxis diese Gattungen eben auf. Man mag die Frage nach den Gattungen für akademisch halten. Doch beschäftigt man sich mit den Inhalten, so merkt man rasch, dass die scheinbar akademische Fragestellung noch immer aktuell sind. Was ist bildwürdig? - ist so eine Frage. Diese wurde bei den Disko-Porträts von Manfred Paul in den 1970ern ebenso gestellt wie bei den Huren-Bildern von Manfred Jürgen vor einigen Jahren.

Dass die Porträtkunst in der Renaissance zur Blüte gelangte, also in einer Zeit, als die Individualität des einzelnen Menschen eine bis dahin nie gedachte Geltung bekam, ist leicht nachzuvollziehen. Und wer sich bei einigen Porträts von Jürgens aufgrund ihrer Bildaufteilung, ihrer Farbigkeit und ihren Details wie z. B. der Benennung des Porträtierten im Bild nicht an Renaissancevorbilder erinnert fühlt, der war wohl lange nicht mehr in einer Gemäldegalerie Alter Meister. Doch natürlich malt Jürgens bei allen traditionellen Bezügen und Techniken nicht a la Dürer, denn die Erfahrungen und Entwicklungen der Kunst, die kein Heutiger ausblenden kann, gingen auch an ihm nicht vorüber. So beschreibt er selbst seine Malerei als eine Mischung aus Renaissance und Neuer Sachlichkeit und nennt sie Sachlichen Realismus.

Nicht erst unter dem Eindruck der modernen Malerei wandelte sich die eben zitierte Frage Albertis, ob die Malerei nichts anderes sei als ein künstlerisches Ebenbild, von einer rhetorischen zu einer echten. Vor 100 Jahren hätte eine gleichzeitige Ausstellung von Malerei und Fotografie selbstverständlich zu einem Wettstreit um den Kunstwert geführt.

Jürgens hat das Verhältnis von Fotografie und Malerei für sich entschieden: Hört man, dass er für einige Porträts als Vorstudien mehrere hundert Fotos gemacht hat, so wird deutlich, dass die Fotografie bei ihm nunmehr das Skizzenbuch ersetzt. Dass er aber der Fotografie auch als Kunstform nicht fern steht, spürt man bei der Betrachtung seiner Porträts im Verhältnis zwischen der dargestellten Person und ihrem Hintergrund. Unwillkürlich kommt einem der Begriff 'Tiefenschärfe' und alle damit verbundenen Möglichkeiten in den Sinn.

Die Bandbreite der Möglichkeiten können Sie in meisterhafter Weise in den Arbeiten Manfred Pauls erleben. Fälschlicherweise galt die Fotografie in ihrer Anfangszeit als nicht-künstlerische Disziplin, da man den subjektiven Einfluss, den der Fotograph mit Beleuchtung, Bildausschnitt und Brennweite auf das Foto nimmt, unterschätzte. Der Fotograf malt mit Licht - der Maler mit Farbe. Größer ist der Unterschied - materiell gesehen - nicht.

Spätestens seit die Forderung nach strikter Abbildlichkeit weit besser mit nicht- künstlerischen Verfahren erfüllt werden kann, muss man einfordern, dass Malerei - sei es mit Farbe oder mit Licht - anderes und mehr beinhalten müsse, als die täuschend ähnliche Wiedergabe von konkret Vorgegebenem.

Manfred Paul interessiert bei seinen Porträts die Abbildung des gelebten Lebens, die Überprüfung, ob sich die Seele in die Oberfläche einschreibt, ob also mit der Abbildung der äußeren Erscheinung eines Menschen zugleich sein Psychogramm entstehe.

Wie vielschichtig ein Mensch in nur einem Bild abgebildet werden kann, das wird vor allem in dem Porträt der Tänzerin Steffi Scherzer deutlich. Im Vordergrund, aber angeschnitten, die müde, abgespannte Primaballerina - im Hintergrund im Spiegelbild dieselbe Frau zum selben Zeitpunkt, aber um wie viel weicher, jünger und optimistischer. Das ist mehr als das Festhalten eines Moments, das umschließt ein ganzes Leben mit seiner Vergänglichkeit. Und da wir vorhin von den Gattungen gesprochen haben: die Vergänglichkeit ist kulturhistorisch betrachtet ein Hauptthema des Stillebens, nicht unbedingt des Porträts.

Hat Manfred W. Jürgens ein ähnliches Interesse bei der Wahl seiner Bildthemen? "Wenn Farbe nicht nur Haut und Stoff, sondern auch zu Seele wird, dann habe ich die leere Fläche besiegt", beschreibt er selbst den Schaffensprozess. Betrachtet man die Reihe seiner Portraitierten fällt auf, dass sich inzwischen mit Till Lindemann, Paul Millns und zuletzt Ulrich Tukur eine Reihe von Musikerbildnissen gebildet hat, obgleich deren gemeinsame Profession in ihren Bildern keine Rolle spielt. Als ich einmal nachfragte, ob er bewusst Musiker als Modelle auswähle und wenn ja, warum - antwortete mir Jürgens, dass das Malen der Musiker den Vorteil habe, dass diese während seiner Arbeit durch ihre Musik präsent seien. Im Unterschied zu Paul, der ja sein Bild im Moment des Fotografierens also in unmittelbarer Gegenwart des Porträtierten schafft, ist Jürgens, der seine Porträts auf der Grundlage von Fotografien im Atelier komponiert, bei der Entstehung des Bildes mit sich allein. Den Porträtierten durch seine Musik in den Schaffensmoment zurückzuholen, ist eine - wohl auch für die Musiker selbst - reizvolle Vorstellung.

Doch hat sich gezeigt, dass gerade die letzte Motivwahl - das Tukur-Bild - auch Gefahren birgt: Aufgrund dieses Werkes titelte der NDR in einem Feature, das heute abend gesendet wird, 'Manfred W. Jürgens - der Prominentenmaler'. Das ist medienwirksam und unbestritten hat es als Betrachter seinen Reiz, von den Porträtierten wenigstens das öffentliche Bild zu kennen. Aber, es verleitet zu einer oberflächlichen Betrachtung.

Die sechs ganzfigurigen Porträts zeigen Frauen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Nationalität. Zum zusammengehörenden Zyklus werden diese sechs Bilder nicht nur durch die gleichbleibende Bildaufteilung und die gleichartige Hintergrundbehandlung, sondern vor allem durch den in allen Bildern am Kostüm der jeweiligen Frau erkennbaren Beruf: Sie alle sind in ihrer Berufskleidung als Prostituierte abgebildet. Unbestreitbar besteht darin auch ein gewisser voyeuristischer Blickfang.

Auch Jürgens hat diese Frauen nicht nur in ihrer Rolle, sondern vor allem auch in ihrer Persönlichkeit kennen gelernt. Wenn er sich dennoch dazu entschieden hat, sie in ihrer Rolle abzubilden, aber gleichzeitig postuliert, im Porträt das Wesen eines Menschen erkennen zu wollen, so besteht darin ein Widerspruch, der sich nur auflösen lässt, in dem man den Zyklus als Verbildlichung einer Frage versteht, die sich jeder stellt, der eben nicht in diesem Milieu tätig ist. Nämlich die Frage: Wie behält man sein Wesen, wenn man etwas Wesentliches seiner Person, in dem Fall der Frauen eben ihre Sexualität, zur käuflichen Ware macht? Und formuliert man dies etwas allgemeiner, so merkt man plötzlich, dass die Frage, die in diesem Zyklus gestellt wird, weit über die sechs Bilder hinausgeht: Es ist die Frage 'Was geschieht, wenn man etwas sehr Persönliches öffentlich verfügbar macht?' Vor dieser Frage stehen nicht nur die Prostituierten in ihrem Tagesgeschäft, sondern vielleicht auch die Künstler und in jedem Fall die Porträtierten.

Manfred Paul hat einmal gesagt, er hoffe 'ein Bild sagt mehr als Worte'. Diese Hoffnung hat sich in den ausgestellten Bildern erfüllt. Ich kann Sie daher nur ermuntern: Schauen Sie selbst!




Manfred W. Jürgens Wismar Manfred W. Jürgens Wismar
Poster, Postkarte, Einladung © MWJ

Seele macht sie verwandt

26.3.2003

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21.03.2003