2001 · Wismar · Reden


Portraits auf Holz

Wismar · Baumhaus · 2001

11.05. - 04.06. 2001


Ausstellungseröffnung

2001

Presse und Radio

2001




Einführung in die Ausstellung

Béatrice Busjan, Direktorin des Stadtgeschichtlichen Museum 'Schabbellhaus' in Wismar · 11.05.2001


Béatrice Busjan, Manfred W. Juergens, Wismar

Manfred W. Jürgens hat uns heute abend zu seiner ersten öffentlichen Ausstellung eingeladen und ihr den Titel 'Portraits' gegeben.

Glaubt man dem Florentiner Renaissancearchitekten und -gelehrten Leon Battista Alberti, so stand ein missglückter Portraitversuch am Beginn der Malerei. In seinem 1435 erschienenen Traktat 'Della Pittura' erzählt Alberti nämlich folgende Legende: 'Durstig über eine Quelle gebeugt, erblickte Narcissus im Spiegel des Wassers ein Bild, sein Ebenbild. Er suchte es zu fassen, festzuhalten - aber vergeblich'. Narcissus scheiterte und brachte so - laut Alberti - die Malerei auf den Weg. Und Alberti fragt weiter rhetorisch: 'Denn könntest Du wohl sagen, dass die Malerei anderes sei als künstlerisch ein Ebenbild zu umfassen suchen, gleich jenem, welches dort aus dem Spiegel der Quelle blickte?'

Dass die Portraitkunst in der Renaissance zur Blüte gelangte, also in einer Zeit, als die Individualität des einzelnen Menschen eine bis dahin nie gedachte Geltung bekam, ist leicht nachzuvollziehen. Und wer sich bei einigen Portraits von Jürgens aufgrund ihrer Bildaufteilung, ihrer Farbigkeit und ihren Details wie z. B. der Benennung des Portraitierten im Bild, wie Sie es in den beiden Bildern rechts von mir sehen, nicht an Renaissancevorbilder erinnert fühlt, der war wohl lange nicht mehr in einer Gemäldegalerie Alter Meister. Doch natürlich malt Jürgens bei allen traditionellen Bezügen und Techniken nicht a la Dürer, denn die Erfahrungen und Entwicklungen der Kunst, die kein Heutiger ausblenden kann, gingen auch an ihm nicht vorüber. So tritt uns eine Mischung aus Renaissance und Neuer Sachlichkeit in den Portraits von Jürgens entgegen.

Nicht erst unter dem Eindruck der modernen Malerei wandelte sich die eingangs zitierte Frage Albertis, ob die Malerei nichts anderes sei als ein künstlerisches Ebenbild, von einer rhetorischen zu einer echten. Spätestens seit die Forderung nach strikter Abbildlichkeit weit besser mit mechanischen als mit künstlerischen Verfahren erfüllt werden kann, muß die Frage nach der Malerei anders beantwortet werden und kann man sagen, dass; Malerei anderes und mehr beinhalten müsse, als die täuschend ähnliche Wiedergabe von konkret Vorgegebenem. Jürgens hat das Verhältnis von Fotografie und Malerei für sich entschieden: Hört man, daß er für einige Portraits als Vorstudien mehrere hundert Fotos gemacht hat, so wird deutlich, daß die Fotografie bei ihm nunmehr das Skizzenbuch ersetzt.

Daß er aber der Fotografie auch als Kunstform nicht fern steht, spürt man bei der Betrachtung seiner Portraits im Verhältnis zwischen der dargestellten Person und ihrem Hintergrund. Unwillkürlich kommt einem der Begriff 'Tiefenschärfe' und alle damit verbundenen Probleme und Möglichkeiten in den Sinn.

Trotz der langen Tradition der Bildgattung 'Portrait' gibt es auf die Frage 'Was ist ein Portrait' durchaus unterschiedliche Antworten.

Ist es schlicht das Bild eines Menschen? Oder ist es das Abbild eines bestimmten Menschen? Oder ist es das Bildnis eines bestimmten Menschen, das nicht bei der äußeren Erscheinung verharrt, sondern ihn auch seinem Wesen gemäß erfaßt?

So unterschiedlich die Antworten sind, sie alle haben eines gemeinsam: Es besteht Übereinstimmung, daß das Motiv eines Portraits der Mensch sei. Gerade diesen kleinsten gemeinsamen Nenner verläßt jedoch Manfred W. Jürgens, in dem er bewußt auch eine Landschaft und das Abbild einer Lilie mit in seine Ausstellung aufgenommen hat.

Das heißt: Obwohl sich Jürgens im Titel seiner Ausstellung auf eine klassische Bildgattung bezieht und sich damit der traditionellen Systematisierung der Bildthemen theoretisch zu unterwerfen scheint, weicht er in der Praxis dieser Ausstellung diese Gattungen eben auf, in dem er ein klassischerweise den Stilleben zuzuordnendes Bild mit in die Reihe der Portraits aufnimmt. Und das Ganze funktioniert auch andersherum: Einige seiner Portraits strahlen eine solch statuarische Ruhe aus, daß das Leben in ihnen tatsächlich still zu stehen scheint. Still-Leben eigener Art also, hinter der das Wesen der Person, die ursprünglich Modell saß, zurücktritt. Nicht immer ging es Jürgens also um die Darstellung einer bestimmten Person und ihres Wesens. Vielmehr werden die Personen, die er abbildet, zu Trägern von Ideen, die durchaus auch außerhalb der Modelle liegen. Ruhe ist z. B. eine solche dargestellte Idee, oder sogar - im Sinne von Jürgens - ein Ideal.

Keines der hier ausgestellten Bilder ist als Auftragswerk der Portraitierten entstanden. Stets ist der Maler auf seine Modelle zugegangen. Sein Interesse und nicht das der Modelle bestimmte die Bilder. Am Portrait einer Studentin, das im Nachbarraum hängt, merkt man deutlich, daß sein Interesse am Malerischen über die portraitierte Person hinausging, ja im Ergebnis sogar Überhand gewinnen konnte. Ganz im Gegensatz dazu stehen das Portrait des älteren Ehepaares Koppe und das ihrer Tochter, der Bauingenieurin Barbara Koppe, in denen sich der Maler sozusagen der Kraft seiner Modelle ergeben hat.

Wir stehen in diesem Raum sozusagen am Ende der Ausstellung. Erst hier offenbart sich der Maler in seinem Selbstbildnis. Während er alle anderen Personen mindestens als Büste, oft sogar als Ganzfigur zeigt, hat er für sich selbst eben nicht den Kopf, die Physiognomie abgebildet, sondern die Hände. Kunst beruht auf Handwerk, sagt er uns so.

Die Sicht des Malers auf seine Bilder hat uns Jürgens in seinem Ausstellungsfaltblatt an die Hand gegeben. Er schreibt 'Wenn Farbe nicht nur Haut und Stoff, sondern auch zu Seele wird, dann habe ich die leere Fläche besiegt', und beschreibt damit den Schaffensprozeß aus seiner Sicht. Natürlich können wir ihm mit dieser Beschreibung im Hinterkopf in seinen ausgestellten Werken dabei zusehen, wie und wo er diesen Sieg erringt, aber auch in welchen Fällen bisweilen die Farbe den Sieg davon getragen hat.

Aber - wir bleiben bei dieser Betrachtung Außenstehende, schauen sozusagen unbeteiligt auf Prozeß und Ergebnis. Doch nur wenn wir nicht unbeteiligt bleiben, wenn bei der Betrachtung vor unseren Augen und in unserem Kopf etwas geschieht, werden die Bilder eine Wirkung entfalten, die über das Interesse des Malers hinausgeht. Dann malt Jürgens nicht mehr vor allem für sich selbst.

Im ersten Raum rechts finden Sie sechs ganzfigurige Portraits, die Frauen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Nationalität zeigen. Zum zusammengehörenden Zyklus werden diese sechs Bilder nicht nur durch die gleichbleibende Bildaufteilung und die gleichartige Hintergrundbehandlung, sondern vor allem durch den in allen Bildern am Kostüm der jeweiligen Frau erkennbaren Beruf. Sie alle sind in ihrer Berufskleidung als Prostituierte abgebildet. Unbestreitbar besteht darin auch ein gewisser voyeuristischer Blickfang.

Doch Jürgens hat diese Frauen nicht nur in ihrer Rolle, sondern vor allem auch in ihrer Persönlichkeit kennengelernt. Wenn er sich dennoch dazu entschieden hat, sie in ihrer Rolle abzubilden, aber gleichzeitig postuliert, im Portrait das Wesen eines Menschen erkennen zu wollen, so besteht darin ein Widerspruch, der sich nur auflösen läßt, in dem man den Zyklus als Verbildlichung einer Frage versteht, die sich jeder stellt, der eben nicht in diesem Milieu tätig ist. Nämlich die Frage: Wie behält man sein Wesen, wenn man etwas Wesentliches seiner Person, in dem Fall der Frauen eben ihre Sexualität, zur käuflichen Ware macht? Und formuliert man dies etwas allgemeiner, so merkt man plötzlich, daß die Frage, die in diesem Zyklus gestellt wird, weit über die sechs Bilder hinausgeht.

Manfred W. Jürgens hat in verschiedenen Interviews mehrfach seine persönliche Lebenssituation geschildert, aus der heraus er sich diesem Bildthema zugewandt hat. Daß er sich nämlich in einer persönlichen Krise befand, im Dambecker Pfarrhaus aufgenommen wurde und diese Bilder zuerst dort geträumt und dann - sozusagen mit dem Segen des Pastors - gemalt habe. Es gibt keinen Grund, an dieser Geschichte zu zweifeln. Und der Topos des "einsamen Künstlers am Scheideweg" in Verbindung mit der Kombination aus Pfarrhaus und Bordell ist so gut; daß sie zweifelsohne das Zeug zur künstlerischen Legende hat.

Aber - vom Maler selbst zur Interpretation aufgefordert - sei es erlaubt, sich von dieser Geschichte zu entfernen. Ich denke, dem Hurenzyklus liegt eine viel grundsätzlichere Frage zugrunde, die über die konkrete damalige Situation hinausweist. Es ist die Frage 'Kann man etwas sehr Persönliches öffentlich verfügbar machen und gleichzeitig sein Wesen bewahren?' Vor dieser Frage stehen nicht nur die Prostituierten in ihrem Tagesgeschäft, sondern vielleicht auch ein Maler, der erstmals seine Bilder zeigt. Und so, wie der Maler für die Frauen die Frage bejaht hat, so könnte er es auch für sich und seine Bilder tun. Ich wünsche Manfred W. Jürgens und seiner Ausstellung viel Erfolg.

Foto © Hanjo Volster


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