2005 · Leipzig · Inaugurazione

Manfred W. Jürgens, Lipsia
Inaugurazione, 02.07.2005 | Foto © MWJ

L'anima ci imparenta

Friedenskirche Lipsia, Gohlis · 2005

03.07. - 27.08. 2005


Prof. Dr. Martin Steinhaeuser e MWJ

2.7.2005

Paul Millns

3.7.2005

Huren im sakralen Raum

18.8.2005

Einführung zur Ausstellung, 02.07.2005

Prof. Dr. Martin Steinhäuser

Seele macht verwandt | Malerei von Manfred W. Jürgens


Prof. Dr. Martin Steinhäuser

Der Weg zur Ausstellung

Es ist für den Friedenskirche Leipzig-Gohlis e.V. Freude und Ehre, die Bilder von Manfred W. Jürgens ausstellen zu können. Die erste Anregung dazu kam von Paul Millns am Rande seines Konzertes in der Friedenskirche im Frühjahr 2003. Manfred W. Jürgens hat ihn porträtiert und war auch selbst bei jenem Konzert dabei, sodass rasch eine Vereinbarung zustande kam. Zwei Jahre hat die Umsetzung dieser Idee dann gedauert.

Der Friedenskirche Leipzig-Gohlis e.V. veranstaltet seit 1999 Ausstellungen in dieser Kirche. Jede hat ihr eigenes Profil - aber immer geht es dabei um Kommunikation, um Begegnung von sakral geprägtem Raum - anders als in Galerien - mit Bildern und Menschen. Was ist nun das Besondere an der Ausstellung von Manfred W. Jürgens?

Seele macht verwandt

Die Porträts von Manfred W. Jürgens ziehen die Betrachtenden in unvermittelte Augenbegegnungen. Jemand zeigt sich, eine Beziehung entsteht. Aber nicht verschämt, sondern direkt - eine Beziehungsbegegnung!

Was ereignet sich in der Begegnung? Was lösen diese Augenblicke in Ihnen aus? Jedes Porträt birgt ein Geheimnis, eine Frag-Würdigkeit und ein Vertrauen, dass Begegnung möglich ist, dass Einsamkeit überwunden werden kann.

Dies ist das Angebot des Malers für uns, die Betrachtenden. Die Idee ist, dass es eine Verwandtschaft gebe, und dass jeder diese Verwandtschaft selbst entdecken müsse. Sie ist etwas intimes, vielleicht leises, empfindliches. Vielleicht darin einer religiösen Empfindung gar nicht so fremd, verwandt sogar?

Manfred W. Jürgens schlägt uns vor, dass diese Verwandtschaft seelischer Natur sei. 'Seele macht verwandt'. Ausgelöste Empfindungen sind stets unfertig, lebendig, Ausdruck und Eindruck von Seele. Die Hand des Künstlers tritt zurück hinter den seelischen Ausdruck der Portraitierten, eine neue Wirklichkeit entsteht. Ich finde diese Bilder auch deshalb subversiv, weil ihre Begegnung mit den Betrachtenden Geheimnis bleibt. Subversiv, aufwühlend, stark im Ausdruck.

Die Porträt-Serie 'Huren'

Gilt so eine Verwandtschaft auch für die Porträt-Serie Huren? Was für Seelen sprechen uns aus diesen Bildern an? Welchen Bezirk unserer Seele sprechen sie in uns an? Huren, Dirnen, Prostituierte, Nutten - der Wörter sind viele und die Befremdung scheint groß. Frauen, die sexuelle Begegnungen für Geld gewähren. Was haben diese Porträts in einer Kirche zu suchen?

Nicht, dass die Bibel nichts davon wüsste. Im 1. Buch Mose, Kapitel 38 wird von der Dirne Thamar erzählt. Es scheint nicht, als ob die Israeliten ihr Verhalten als besonders tadelhaft empfunden hätten. Auch im Neuen Testament finden wir hin und wieder Spuren - der Evangelist Lukas berichtet von einer Frau, die er "die Sünderin" nennt, und von der sich Jesus die Füße salben ließ. Was für eine Art 'Sünderin' war sie?

Denn im Christentum geht es, wo Hurerei angesagt ist, klar um Sünde und Verurteilung. Habsucht und Begierde - an diesen zwei Verfehlungsarten demonstriert das Neue Testament bevorzugt, was aus einer verfehlten oder verleugneten Beziehung zu Gott folgt. Das galt übrigens nicht nur für die Hure, sondern auch den Hurer, den Mann, der zur Dirne geht. Man kann sich ja von Manfred W. Jürgens Huren-Porträts fragen lassen, wo eigentlich die Freier dieser Frauen sind, die Kunden? Versteckt und erpressbar? Geheim und womöglich verlogen?

Gilt dieser Titel 'Seele macht verwandt' auch bezüglich der Bilder dieser Frauen? Sie kamen aus Fernost oder Osteuropa, aber nicht nur! Zumeist steht irgendeine Notlage im Hintergrund, eine Abhängigkeit oder eine seelische Not. Viele Huren haben den festen Vorsatz, sich möglichst rasch aus dieser Not wieder zu befreien. Manchen gelingt es, manchen nicht.

Wer Huren begegnet, wird zur persönlichen Stellungnahme herausgefordert. Was mich an diesen sechs Porträts fasziniert, ist, wie sich diese persönliche Stellungnahme verbindet mit dem direkten Augenblick, wie der Blick der Betrachtenden von den Augen angezogen wird. Natürlich - man kann es sich leicht machen. Die Ablehnung des horizontalen Geschäfts und der daran beteiligten Frauen und Männer bedarf für Viele keiner langen Diskussion. Dazu gibt es hier bei uns, in unserem eigenen Gemeindebezirk der Michaelis-Friedens-Kirchgemeinde auch einigen Anlass. Schon zu DDR-Zeiten gab es den Straßenstrich in der Nordstraße. Nach der Wende herrschten in der Roscherstraße wilde Verhältnisse, als sich das Rotlichtmilieu mit Wohnwagen und zwielichtigen Männern dort ausbreitete. Heute bieten Frauen wieder im Viertel um die Richterstrasse rasche Dienste. Prostitution in erniedrigender Form, so beschreibt die Leipziger Volkszeitung diese Szene. Manfred W. Jürgens sucht hinter solchen Formen und Klischees die Seele der Frauen und die Begegnung. Er zeigt uns würdevolle Frauen. Das wird nicht leicht gewesen sein für ihn, vielleicht auch für die Frauen. Auch für uns?

Finden wir den Mut zur Diskussion? Bestimmt lösen diese Porträts in einer Kirche Kontroversen aus. Manche werden von Provokation sprechen. Ich möchte diese Provokation in die Richtung der ganzen Ausstellung lenken: Gibt es eine seelische Verwandtschaft zu entdecken?





Eröffnung der Ausstellung, 02.07.2005

Manfred W. Jürgens

Seele macht verwandt


Manfred W. Jürgens, Lipsia

Guten Abend!


Ich bin sehr froh, in der alten und neuen europäischen Hauptstadt der figurativen Malerei auszustellen. Als Jugendlicher besuchte ich oft Leipzig. Die Stadt wirkte auf mich wie eine alte Graue. Heute ist es eine junge Schöne mit alten und neuen Widersprüchen und auch deshalb liebenswert.Wie kam es zu dieser Ausstellung?

Wie kam es zu dieser Ausstellung?

Vor zwei Jahren besuchten meine Frau und ich ein Konzert von Paul Millns hier in der Friedenskirche. Da wir mit Paul seit Jahren befreundet sind und ich ihn einst malte, tranken wir im Anschluss einige wenige kleine Biere. Und Paul erzählte Martin Steinhäuser vom Verein Friedenskirche-Gohlis e.V. von meiner Malerei. So begann es. Und heute sehen Sie das Resultat: Seele macht verwandt. Der Ausstellungs-Titel wurde einem Beitrag der Wismarer Journalistin Ina Schwarz entlehnt

Üblicherweise nimmt sich ein Maler zur Eröffnung seiner Ausstellung einen Laudator, der ihn öffentlich ausgiebig lobt, und auch teils das versteht, was zu sehen ist. Meine drei Wunschkandidaten sind leider allesamt verhindert, im verdienten Urlaub, im Ausland auf Dienstreise oder hochschwanger, so dass ich mich entschieden habe, selbst über mich zu sprechen. Wie konnte ich nur. Aber es ist diesen einen Versuch wert.

Versuch einer Eröffnung

Geboren wurde ich 1956 in Mecklenburg in einer winzigen Kleinstadt. Mein Vater war Mecklenburger. Meine Mutter kam aus der Nähe von Wurzen. Viele Sommer meiner Kindheit verbrachte ich im sächsischen Pausitz an der Mulde. Die dort wohnenden Grosseltern waren Tabakbauern. Ich denke für F6. Als diese sahen, dass ich ständig zeichnete und malte, schenkten sie mir, ich war knapp fünf Jahre alt, einen grossen teuren Ölfarbkasten und Pinsel. Die Oma hatte Geburtstag und ich wünschte ihr eine eigene überdimensionale Geburtstagstorte. Also eine, die ihr niemand wegessen konnte. So bastelte ich eine Torte aus einem Pappkarton und nutzte den gesamten 24-tubigen Ölfarbkasten für die recht cremige und farbenfrohe Gestaltung. Die Torte war wunderschön! Sie wollte nur nicht so recht durchtrocknen. Es gab grossen Geburtstagsärger wegen der nach Terpentin stinkenden Pseudo-Torte, die ausserdem meinen neuen Matrosenanzug und die goldene grossmaschige Tischdecke versaut hatte. Aber ich fand das witzig und verstehe bis heute den tagelangen familiären Ärger um meine farbenprächtige Torte nicht.

Meine erste Arbeit in Öl hatte aber auch etwas Gutes. ‘Das war wohl eine Fehlentscheidung‘, sprach der Grossvater und empfahl eine baldige Reise nach Dresden. 'Dort hängen doch diese Gemälde. Der Bengel muss wohl erst einmal was Richtiges sehen.' So eröffnete sich für mich die faszinierende Welt der Alten und Neuen Meister.

Als junger Mensch kopierte ich Arbeiten von Dürer, Holbein und Rembrandt, um das vor Jahrhunderten gemalte intensiver nachempfinden zu können. Die Ergebnisse hatten leider wenig mit den Originalen zu tun.

Es folgten die ganz normalen Katastrophen und Umwege. Nach der Schulzeit fuhr ich zur See, war Maler und Glaser, arbeitete in der Landwirtschaft und begann mit 29 Jahren endlich zu studieren. Während meines Studiums zum Kommunikations-Designer in Berlin vertiefte ich in Wissenschaftsgrafik und Fotografie. Nach dem Abschluss arbeitete ich für den Zoologen Dathe im Tierpark Berlin und versank später über Jahre im ländlichen Kulturmanagement.

Nach einer gescheiterten Beziehung landete ich in einem Pfarrhaus in Nordwestmecklenburg. Als ich dem Pfarrer erzählte: 'Ich habe geträumt, ich ziehe nach Wismar, gehe ins Bordell und male die Huren', war seine Antwort: 'Oh, das würde ich als Maler interessant finden und sofort tun.' Mein Traum brachte mich mit Pfarrers Segen in die harte Realität der Hansestadt Wismar.

Die Altstadt ist Weltkulturerbe. Also eine Reise wert. Doch alles lebt vom Kontrast. Viele meiner Bilder entstanden durch Aufenthalte in Taiwan, Frankreich, Italien, Sri Lanka oder England und den dortigen Erlebnissen. Das Erlebnis ist Grundlage. Wenn ich nichts erlebe, kann ich auch nichts malen. Zu den grössten Erlebnissen gehören für mich Gespräche mit interessanten Menschen und das Aufspüren ihrer Wesenheit.

Für jeden, der realistisch malt, stellt sich die Frage: Kann das gegenständliche Bild in unserer Zeit sinnvoll sein? Mein Ansatz bezieht sich auf historische Vorbilder. Alte Gedanken aufzuspüren, sie neu um- und auszubauen ist für mich zeitgemäss und provoziert mich.

In der Vergangenheit habe ich einen Grossteil meiner Arbeiten bewusst vernichtet. Und das ist gut so. Wer schafft hat auch das Recht, die Dauer des Geschaffenen zu bestimmen. Seit einigen Jahren arbeitet meine Frau mit Erfolg gegen diese Auffassung. Somit kam es vor 4 Jahren zu meiner ersten Ausstellung.

Jede Tafel ist auch ein Selbstbildnis. Ohne den Träumer in mir könnte ich nicht leben. Vieles wird nachts in Träumen geboren und findet durch Auseinandersetzung mit dem Traum malerisch Verwirklichung.

Malerei ist für mich ein Wunder, oft ist sie zerstörerisch und zugleich wohltuend, wie unser Sein in seiner obskuren Widersprüchlichkeit. Der Tod gehört ins Bild wie das Leben. Versteckt ist er immer am Wirken. Seit einigen Jahren stehe ich mir selbst nicht mehr im Weg, bin nicht mehr der Stein im eigenen Schuh, sondern geniesse die Freiheit, Maler sein zu dürfen.

Der heutigen Inflation der Bilder kann ich nur mit Sachlichkeit, mit kraftvoller Stille begegnen. Es ist der Reiz des Unmittelbaren, der ein Hineinsehen in andere Seelen ermöglicht. Wenn Farbe nicht nur zu Haut und Stoff, zu Wasser, Stein und Himmel, sondern auch zu Seele wird, dann habe ich die leere Fläche überwunden.

Seele macht verwandt.

Ich danke allen, die diese Ausstellung ermöglicht haben. Dazu zählt natülich meine Frau Barbara Koppe, die nicht nur meine Muse, sondern auch Förderin und Managerin meiner Malerei ist. Welch ein Glück. Des weiteren Martin Steinhäuser, Rosita Klemm, Christina Vogel und dem Verein Friedenskirche Leipzig-Gohlis e. V. Und natürlich Paul Millns, der diese Ausstellung einst anregte, zu dessen Konzert wir uns morgen um 20 Uhr hier in der Friedenskirche sicherlich wieder treffen.

Die ausgestellten Tafelbilder werden erst- und letztmalig in dieser Komplexität der Öffentlichkeit präsentiert. Danach geht ein grosser Teil der Arbeiten nach Venedig in die Gallery Holly Snapp. Für mich ist diese Ausstellung somit auch eine Art Abschiednehmen von meinen Arbeiten.

Ich möchte Ihnen nicht erklären, was sie zu sehen haben, denn sie selbst haben ihren gesunden Augensinn! Ich lade sie herzlich ein in die Welt meines Realismus. Sehen sie selbst.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich wünsche ihnen interessante Gespräche bei einem Glas Wein und einen guten Abend!



Manfred W. Jürgens, Lipsia
Poster © MWJ 2005

Prof. Dr. Martin Steinhaeuser e MWJ

2.7.2005

Paul Millns

3.7.2005

Huren im sakralen Raum

18.8.2005