Es ist schon seltsam wie lange es gelegentlich dauert, bis Erlebtes bzw. eine Idee zum Bildnis wird. Seit vielen Jahren höre ich beim Malen seine Musik, verfolge sein Spiel auf der Bühne im Theater und im Film, bin immer wieder fasziniert.
Nachdem 2005 am Hamburger St. Pauli Theater die Dreigroschenoper abgespielt war, saßen wir mit Schauspielern im Freudenhaus. Dort im Restaurant lernte ich Christian Redl kennen. Welch ein Typ! Wir unterhielten uns lang und intensiv übers Leben und die Frauen, Scheitern und Abgründe, Marodes und Musisches in uns, Jugend und François Villon. Christian versprach mir, sich portraitieren zu lassen. Schwerer Rotwein floss in Strömen.
Hamburg: Wenige Wochen später traf ich ihn zu meiner Freude völlig überraschend auf St. Georg. Oh wie schön, Christian, dann können wir uns ja über das Portrait unterhalten. Seine Antwort mit tiefer Stimme: Ich wüßte nicht, dass wir uns kennen! Monate später beim Griechen Vasili in der Davidstraße wieder absolut interessante Gedanken und die erneute Zusage. Einige Tage danach bei einem zufälligen Treffen auf der Straße: Ich weiss nicht, wovon Sie sprechen! Ich war so satt von diesen Schauspielern.
Die Jahre verwehten. 2016, nach einer Ausstellungseröffnung meiner Freundin Katharina, feierten wir bis in den hellen Morgen ihren Geburtstag auf Schloss Clemenswerth im Emsland. Sie stellte mir eine bezaubernde, rettende Braut vor. Sie sei seit wenigen Jahren die Frau von Christian Redl. Ich lehnte mich leise zurück, winkte schmunzelnd ab und erzählte dann doch meine Redl-Geschichte. Sie: Wenn er wüsste! Er mag Deine Malerei, hat sogar Postkarten von Dir.
Tage später kam meine Frau ins Atelier und spielte mir eine Audio-Nachricht auf ihrem Handy vor: 'Also, ich bin der Redl. Es ist mir seltsam peinlich. Sollte noch Interesse bestehen, so stände ich gern zur Verfügung'.
Es dauerte nicht lang und er erschien mir nachts im Traum. War es ein Gehstock? Nein, er stand mit Hut und Regenschirm am Meer. Eine schwarze Glasscherbe war gerade dicht neben ihm vom Himmel gefallen. Darin spiegelten sich seine Abgründe. Da ich von ihm wusste, dass er einst knapp am schweren Alkoholismus vorbeigeschrammt war, sah ich wie der Teufel lustvoll an ihm entlang schlenderte und schadenfroh seine Spuren im Sand hinterließ. Ein Pferdefuß, ein Menschenfuß …
Am Vorabend der Fotoskizzen zum Portrait gehen meine Frau und ich gern mit den zu Portraitierenden essen. Christian erzählte von seinem Lieblingsbild 'Der Mönch am Meer' vom Greifswalder Kollegen Caspar David Friedrich. Ja, das passt zur Rolle des einsamen Wolfes. Am Folgetag entstanden am Elbstrand in Hamburg-Rissen die Fotoskizzen.
Im Traum wurde die Elbe zu einem wogenden Meer. Beim Entwerfen des Bildes erschien mir Murnaus Nosferatu in der Spiegelscherbe. Max Schreck, Du kennst meine Stadt, ich werde Dich malen! Ein Großteil des Filmes wurde 1921 in Wisborg, also in Wismar gedreht. Das paßt!
Auf Venedigs Giudecca sah Ulrich Tukur meinen ersten Entwurf auf dem iPad und bemängelte sofort die Schuhe im Bild. 'Du willst ihn doch nicht ernsthaft in diesen Gesundheitsschuhen malen'. Wenige Gläser Rotwein später: 'Mmm, naja, denn, äh, zieh ihm die Schuhe aus und mal ihn barfüßig!' Freudige Zustimmung meinerseits: 'Genau, prima, das ist verletzlicher, feinfühliger. Das gefällt mir! Christian muss noch mal modeln, zumindest seine Füße.'
Mit lebensgrossen Bildern kann Mann schon mal neun Monate lang herumbrüten. Mein Neugeborener ist am Tag seiner Geburt bereits 72 Jahre alt. Auf ein langes Leben! Es freut mich, dass es nun, nach 15 Jahren, doch noch zu diesem Bildnis kam.
Sobald Corona eingetrocknet ist gibt es mit dieser Bildtafel die zweite Hamburger Ein-Bild-Ausstellung. Meine erste an der Elbe war die mit dem ❯ Bildnis von Erna Thomsen in ihrer Kiezkneipe namens Silbersack auf St. Pauli. Aber das ist eine andere Geschichte.
Christian Redl hat sein Leben aufgeschrieben – ehrlich, aufrichtig, ungeschönt. Aufgewachsen in den fünfziger Jahren unter der Obhut eines kriegstraumatisierten Vaters, macht er gegen den Willen der Eltern eine Ausbildung zum Schauspieler. Schonungslos gegen sich selbst erzählt er von seiner rastlosen Suche nach Erfolg und Anerkennung, von Triumphen am Theater, fantastischen Auszeichnungen sowie von gefährlichen Beziehungen und der Macht des Alkohols, von tiefer Melancholie, Euphorie und Verzweiflung. Aber auch von einer beglückenden späten Liebe, mit der er nicht mehr gerechnet hatte. Besonders bekannt durch seine Rolle als Kommissar Thorsten Krüger in den Spreewaldkrimis.