Fehlende Bodenhaftung


Lasur- und Mischtechnik auf Leinwand auf Holz, 100 x 73 cm, 2012/13

Vom Theater vor einem Vorhang


Realistische Malerei heute, Neuer Realismus, Manfred W. Jürgens, Maler Malerei, Kunst Künstler, Wismar Realistische Malerei heute, Neuer Realismus, Manfred W. Jürgens, Maler Malerei, Kunst Künstler, Wismar

Wie alle Großväter sagte auch meiner mir einst Gelassenheit fürs Alter voraus. Gilt das ebenso für die Politik? Ja, beruhigte er mich als Jugendlicher. Walter Ulbrichts Politik zum Beispiel brachte ihn in meiner Kindheit zur Weißglut. Schon wenige Jahre später schmunzelte er: Diesen alten Ziegenbock kann man doch nicht ernst nehmen.

Trotz aufkommender Gelassenheit stellt sich bei mir keine Gleichgültigkeit gegenüber politischen Tendenzen ein. Sollte ich als Maler politische Entwicklungen reflektieren? Die Antwort in mir lautet immer wieder: Bitte keine Tagespolitik. Such dir Metaphern!

In der venezianischen Accademia sah ich vor zwanzig Jahren erstmals die 'Madonna degli Alberetti' von Giovanni Bellini. ❯ Hier ist sie zu sehen, die Madonna mit dem Jesuskind gemalt 1487. Großes Theater vor einem einfachen Vorhang. Eine fesselnde Inszenierung, eine simple und zugleich geniale Bildidee. Für meine Stilleben entlehne ich diese gelegentlich.

Aus einem mehrwöchigen Venedig-Urlaub zurückgekehrt, sah ich in einem Tonkrug unserer Küche Kartoffeln keimen. Es waren recht lange Keime. Die Kartoffeln hatten ihre letzte Energie in der Hoffnung auf Zukunft geopfert. Leider werden sie in Kürze ohne Erdung vergehen. Ihnen fehlt die Bodenhaftung. Aber zuvor zeigen sie sich in gelber, grüner und purpurner Schönheit. Ein verzweifelter Griff nach Licht dem Tod entgegen. Es bot sich mir eine ebenso fesselnde Inszenierung wie die der Madonna mit dem Kind.

In der Politik geht es zunehmend weniger um Inhalte. Posten und Macht sind das Ziel, oft durchwachsen von gefährlicher Leere. Ein hilfloses Gerangel auf kalter Bühne in Richtung Kamera. Minister sind vielfach zu jung und unerfahren. Ihnen fehlen Geschichte, diplomatische Erfahrung und Gelassenheit. Und sie haben ein Zuviel an Glanz und einstudiertem Dauerlächeln. Ihnen fehlen ebenso wie meinen Kartoffen die Bodenhaftung. Und so vergehen sie recht schnell.

Da war die Metapher. Ein unförmiger roter Ziegelstein auf grünem Marmor wird zur Bühne für die letzte Reise. Bald kommen Asseln und Spinnen. Tod und Teufel wirken bereits im Hintergrund. Die Schönheit trügt. Es ist ein kurzes trauriges Aufbäumen, bevor der Vorhang fällt und der Grashüpfer weiter zieht. Wohl denen, die Erfahrung und Geschichte in sich tragen, denen die Bodenhaftung für die Zukunft gegeben ist. Diesen Menschen und Kartoffeln wünsche ich ein langes, erfülltes Leben voll farbenfroher Blüte und Schönheit.





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